7. Mai 2001: Die neunjährige Peggy K. aus dem oberfränkischen Lichtenberg kommt aus der Schule nicht nach Hause. Eine öffentliche Fahndung bleibt lange erfolglos. Höhlen werden durchsucht, Taucher sind im Einsatz, Hundestaffeln und Hubschrauber mit Wärmebildkameras, Tornados der Bundeswehr. Das Grenzgebiet zwischen Oberfranken und Thüringen wird intensiv durchkämmt, es findet sich aber nirgendwo eine Spur von Peggy. Die Sonderkommission umfasst zeitweise bis zu 75 Beamte, die nach einem Jahr um die 5000 Hinweise erhalten hatten. Im Juli werden in ganz Deutschland 25.000 Plakate mit dem Foto von Peggy aufgehängt, auch in der Türkei wird mit Plakaten nach ihr gesucht, weil der türkische ehemalige Lebensgefährte der Mutter in Verdacht geraten ist. [1]
August/September 2001: Ulvi K., der zum Kreis der Verdächtigen zählt und als geistig zurückgeblieben gilt (IQ 67), wird mit heruntergelassener Hose auf einer Bank neben einem achtjährigen Jungen erwischt. Bei seiner Festnahme erzählt er der Polizei, Peggy vier Tage vor ihrem Verschwinden sexualisiert misshandelt zu haben. Weitere Beweise dafür, dass Ulvi K. etwas mit Peggys Verschwinden zu tun hatte, findet die Polizei nicht. [2]
Februar 2002: Der bayerische Innenminister Beckstein setzt eine neue Sonderkommission “Peggy II” ein. Der Leiter dieser Kommission, Wolfgang Geier, verfolgt die Spur zu Ulvi K. mit besonderem Eifer und meldet im Juli 2002 ein Geständnis. Ulvi K. gesteht mit vielen Details, Peggy getötet zu haben, um seine sexualisierten Handlungen zu vertuschen. Ulvi K.s Anwalt ist zum Zeitpunkt des Geständnisses schon nicht mehr vor Ort. Das Tonbandgerät soll genau zum Zeitpunkt des Geständnisses versagt haben, so dass nur ein auf den Notizen eines Beamten basierendes “Gedächtnisprotokoll” existiert. [2] Später widerruft Ulvi K. dieses Geständnis.
Juni 2002 (? Quellenlage nicht eindeutig) : Der 24 Jahre alte Neffe eines Nachbarn wird unter dringendem Tatverdacht fest genommen. Er hat pädokriminelle Neigungen und wird später wegen sexualisierter Gewalt gegen seine eigene Tochter verurteilt. Den Mord an Peggy bestreitet er vehement. Auch sein Onkel gilt als Tatverdächtiger, Spiegel Online bezeichnet ihn 2016 sogar als “bis heute Hauptverdächtigen”. Auch ihm lässt sich aber nichts nachweisen. [3]
7. Oktober 2003: Prozessauftakt in Hof/Saale. Ulivi K., der Angeklagte, wirkt kindlich und gilt laut Gutachten nach einer Hirnhautentzündung als geistig zurückgeblieben. Ihm werden mehrere Fälle von sexualisierter Gewalt gegen Kinder vorgeworfen, und unter anderem der Mord an Peggy. [4]
30. April 2004: Ulvi K. (26) wird vom Landgericht Hof verurteilt, Peggy getötet zu haben. Er erhält eine lebenslange Haftstrafe. In den elf Fällen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder (auch gegen Peggy) wird er frei gesprochen, weil er als schuldunfähig beurteilt wird. Das Gericht ordnet die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Dreh- und Angelpunkt der Anklage ist sein Geständnis. Es gibt keine Leiche, keine DNA-Spur, keine Belastungszeugen. Aber der Gutachter bescheinigt ihm, dass sein Geständnis relativ sicher erlebnisbasiert sei, also auf eigenen, realen Erfahrungen beruhe. Später stellt sich heraus, dass die von Ulvi K. geschilderten Details sehr ähnlich zu einem von der Polizei entwickelten “Tathergangsszenario” waren. [2]
17. September 2010: Ein Mitpatient von Ulvi K. in der Psychiatrie widerruft seine Aussage, Ulvi K. habe ihm gegenüber den Mord an Peggy gestanden. Er gibt an, die Polizei habe ihn unter Druck gesetzt, Ulvi K. zu belasten. [5]
10. April 2014: Das Verfahren gegen Ulvi K. wird wieder aufgenommen, diesmal von der Jugendkammer Bayreuth. Er wird frei gesprochen. [2]
März 2015: Das Oberlandesgericht Bamberg hebt die Unterbringung von Ulvi K. in der Psychiatrie Bayreuth auf. Er wird Ende Juli 2015 entlassen. [5]
01. Juli 2016: Ein Pilzsammler findet Teile eines Skelettes in einem Thüringer Wald, 15 km von Lichtenberg entfernt. Die Leichenteile werden nach wenigen Tagen als von Peggy K. stammend identifiziert. [5]
Oktober 2016: Die Spurensicherung findet eine DNA-Spur von Uwe Böhnhardt, einem Mitglied des NSU-Trios, am Fundort von Peggys Leiche. Erst heißt es, die DNA sei an ihrem Skelett gefunden worden, später wird das korrigiert: Es handele sich um ein “Stück Stoffdecke”, das am Fundort gelegen habe, sagen die Ermittler. [6] Einen Fehler schließen die Experten von Staatsanwaltschaft Bayreuth und der Polizei in Oberfranken “mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit” aus. Zwei Wochen später geben Ermittlungsbeamte bekannt, dass die DNA-Spur von Uwe Böhnhardt womöglich doch durch verunreinigtes Gerät der Spurensicherung an den Fundort von Peggys Leiche getragen worden sein könnte. Die Ermittler bemerkten auf Fotos, dass an beiden Fundorten der selbe markante, unverwechselbarer Messwinkel, eine Art Zollstock, verwendet worden war. Möglicherweise sei damit die DNA übertragen worden. [7] Nach diesem Fund untersucht eine Sonderkommission der Thüringer Polizei ungeklärte Kindstötungen nach 1990, also nach der Wende. 70 Tötungen gab es insgesamt, wie viele davon Kinder sind, wurde nicht bekannt gegeben. [8] Insbesondere fällt ein Mord an einem Jungen von 1993 auf, bei dem auch gegen NSU-Mitglied Uwe Böhnhardt ermittelt worden war (Details dazu in der Chronologie NSU unten).
8.3.2017: In einer gemeinsamen Pressekonferenz geben die Staatsanwaltschaft Bayreuth und das Polizeipräsidium Oberfranken bekannt, dass sie einen Zusammenhang zwischen dem Mordfall Peggy und dem NSU ausschließen. Das gefundene Stück Stoff mit Böhnhardts DNA stamme nicht von einer Decke, wie anfangs erklärt wurde, sondern von einem Kopfhörer, der im Jahr 2011 bei Uwe Böhnhardt im ausgebrannten Wohnmobil gefunden worden sei. Das Stück sei 12×4 mm groß. Die Ermittler schliessen aus, dass dieses Stück Textil und die darauf befindliche DNA von Böhnhardt seit der Ermordung Peggys vor 11 Jahren im Wald gelegen habe könne. Die Materialien seien der Witterung über so einen langen Zeitraum nicht gewachsen. [21] An dieser Version gibt es Zweifel: Dass eine Spurensicherung fünf Jahre lang Ihre Ausrüstung unzureichend reinigt (2011 soll die DNA-Spur beim Fund von Uwe Böhnhardt an den Messwinkel geraten sein und 2016 wurde mit diesem Gerät der Fundort von Peggys Leiche untersucht) hatte unter anderem das Landeskriminalamt Thüringen fünf Monate vor dieser Pressekonferenz noch als unwahrscheinlich bezeichnet. [18]
2000-2011: Die drei mutmaßlichen Rechts-Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe sind Hauptverdächtig, in den Jahren 2000-2011 insgesamt 10 Menschen, überwiegend türkischer Herkunft, getötet, mehrere Überfälle und zwei Sprengstoffattentate begangen zu haben. Sie sind die Kernmitglieder der rechten Terrorgruppe, angeklagt wurden noch mindestens vier weitere Personen. Sie nannten ihre Gruppe “Nationalsozialistischer Untergrund”, kurz NSU. Die Polizei sucht jahrelang im Migranten-Millieu (Ermittlungsgruppen “Bosporus” und “Halbmond”) und die Boulevard-Presse spricht von den sogenannten “Döner-Morden”. Leiter der Ermittlungsgruppe “Bosporus” ist dabei der Kriminaldirektor Wolfgang Geier, der auch die SOKO Peggy II leitete (siehe oben). Er stand somit auch für das später widerrufene Geständnis von Ulvi K. in der Kritik. Im Hinblick auf die NSU-Ermittlungen wird ihm vorgeworfen, viel zu lange nicht im rechtsradikalen Umfeld gesucht zu haben. [22], [23] Außerdem gibt es in der rechten Szene in Thüringen Verbindungsleute des Verfassungsschutzes, so dass immer wieder gemutmaßt wird, die wahren Hintergründe dieser Taten würden vertuscht, weil der Verfassungsschutz seine Leute decken wolle.
2001: Der zweite Mord der NSU-Serie wird etwa vier Wochen nach Peggys Verschwinden in Nürnberg begangen. [9]
November 2011: Nach einem Bankraub flüchten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in einem Wohnmobil. Nach offiziellen Angaben erschießt Uwe Böhnhardt in diesem Wohnmobil erst seinen Komplizen Uwe Mundlos, zündet dann das Wohnmobil an und tötet sich selbst, um einer Festnahme zu entgehen. Nahezu zeitgleich legt die Mittäterin der beiden, Beate Zschäpe, einen Brand in der Wohnung der drei in Jena und stellt sich der Polizei. An dieser offiziellen Version werden immer wieder Zweifel angemeldet, weil es mehrere Ermittlungsfehler der Polizei gibt (z.B. wurde das Wohnmobil von der Polizei zu früh bewegt, dadurch der Tatort verwüstet. Andere Skeptiker verweisen darauf, dass zwischen den Schüssen, die aus dem Wohnmobil laut Zeugenaussagen zu hören waren, zu wenig Zeit gewesen sei, um das Feuer zu legen.) Die Aufklärung der genauen Umstände wird erschwert durch wenige Tage nach dem Tod der beiden NSU-Mitglieder geschredderte und später für den Prozess geschwärzte Akten des Verfassungsschutzes. Auch die Verfahrenseinstellung wegen dieser vernichteten Unterlagen weist einige seltsame Besonderheiten auf – darüber berichtete Zeit-Online [Link zum Web-Archiv].
2013: Prozesseröffnung gegen Beate Zschäpe als einzige Überlebende des NSU-Trios. Sie äußert sich so gut wie nicht zu den Vorwürfen.
2016: Die DNA-Spur von Uwe Böhnhardt wird bei Peggy gefunden (siehe Chronologie zum Fall Peggy oben). Ein Ende des Prozesses gegen Beate Zschäpe ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar. Als Beate Zschäpe im Prozess gefragt wird, ob sie über den Fall Peggy etwas wüßte, antwortet sie kurz und knapp mit “Nein.” [19]
Sowohl die Ermittlungen im Fall Peggy als auch im NSU-Fall ziehen sich seit Jahren hin, finden eine breite Presseaufmerksamkeit und sind unter anderem wegen diverser Ermittlungspannen immer wieder in den Schlagzeilen gewesen.
Zur möglichen Panne bei den DNA-Spuren
- Das selbe Spurensicherungsteam, das 2011 den Wohnwagen des NSU-Trios untersucht hat, in dem sich die Leiche von Uwe Böhnhardt befand, wurde 2016 an den Fundort von Peggys Leiche gerufen und führte die Spurensicherung durch. [7]
- In den ersten Artikeln hieß es, das selbe rechtsmedizinische Institut in Jena, das 2016 das Skelett von Peggy untersuchte, hätte fünf Jahre zuvor auch die Leiche von Uwe Böhnhardt untersucht. Etwas später allerdings teilte das Institut für Rechtsmedizin in Jena mit, der Stofffetzen von Peggys Leichenfundort sei dort nicht untersucht worden, eine Verunreinigung über diesen Weg sei also ausgeschlossen. [10]
- In den NSU-Ermittlungen hatte es schon eine DNA-Spuren-Panne gegeben: An diversen Tatorten war eine DNA-Spur gefunden worden, die auch 2007 am Tatort der vom NSU erschossenen Polizistin Michele Kiesewetter aufgetaucht war. 2009 stellt sich dann heraus, dass die DNA von einer Mitarbeiterin eines Verpackungsbetriebs für Wattestäbchen in Bayern stammte. [6]
Zu Verbindungen zwischen dem NSU und möglicher Kindesmisshandlung
- Im ausgebrannten Wohnmobil des NSU-Trios wurden verschiedene Kindersachen, z.B. Spielsachen und Schuhe, gefunden. Die Herkunft dieser Gegenstände gilt als ungeklärt. [6] An dem Schuh gab es weibliche DNA, die aber nicht zu Peggy gehört.
- Das Wohnmobil sollen Zschäpe und Böhnhardt im Oktober 2011 in Begleitung eines Kindes angemietet haben. [10] Dieses Kind sei ein Mädchen im Alter von 4 oder 5 Jahren gewesen, habe lange blonde Haare gehabt und habe Zschäpe “Mama” genannt, sagte eine Zeugin aus. [13] Im Prozess hat Beate Zschäpe ausgesagt, es sei das Kind eines Mitangeklagten von ihr gewesen. [10] Andere Quellen schrieben hingegen, die Kinder dieses Bekannten seien Jungen – hier ist die Quellenlage, die wir bis jetzt gefunden haben, nicht eindeutig.
- Auch im Zwickauer Haus, in dem Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt wohnten, fanden die Ermittler diverses Kinderspielzeug. Außerdem liegen Zeugenaussagen vor, nach denen Beate Zschäpe Im Oktober 2011 mit einem kleinen Mädchen gesehen worden sein soll. [13]
- Auf dem Computer von Beate Zschäpe, die als einzige des NSU-Trios überlebt hat und in München vor Gericht steht, wurde pädokriminelles Material gefunden. Außerdem gab es einen Datenträger mit entsprechendem Material im Brandschutt der Zwickauer Wohnung des Trios. Die Wohnung hatte Beate Zschäpe selbst angezündet, bevor sie sich der Polizei stellte. Da Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt zu diesem Zeitpunkt zusammen in einer Wohnung wohnten, hätten auch Mundlos und Böhnhardt Zugang zu diesem Computer haben können. [6] Nach Angaben eines Opferanwaltes soll es sich bei der Datei auf dem Computer um ein Video handeln, in dem ein Mann sexuelle Handlungen an einem Mächen vornimmt. Das Verfahren wegen Besitzes von Kinderpornografie gegen Beate Zschäpe wurde nach Paragraf 154 Strafprozessordnung eingestellt, weil die Mordvorwürfe gegen sie schwerer wiegen und sie dafür eine höhere Strafe zu erwarten hat. [11] Die FAZ veröffentlichte weitere Details aus Ermittlerkreisen zu den einschlägigen Dateien: Laut Staatsanwaltschaft Zwickau, so die Zeitung, habe es sich um “vier oder fünf sehr kleine Bilder in schlechter Qualität mit wohl strafbaren Abbildungen” gehandelt. [14] Andere Details, die von der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurden, beschreiben sowohl Jungen als auch Mädchen auf diesen Bildern. Beate Zschäpe gab im Prozess an, der Computer sei von allen drei NSU-Mitgliedern genutzt und aus gebrauchten Einzelteilen zusammen gesetzt worden. Die Quelle dieser Bilder ist also nicht mehr eindeutig feststellbar. [19]
- Tagesschau.de meldete, dass bereits in den 1990er Jahren gegen Zschäpe wegen “kinderpornografischen Delikten” ermittelt worden sei. [8]
- Uwe Böhnhardt war bereits 1993 Verdächtiger in einem Kindermord: Ein neun Jahre alter Junge war im Juli 93 am Saale-Ufer in Jena gefunden worden. Zu diesem Zeitpunkt war Böhnhardt 15 Jahre alt. Er gehörte zum “erweiterten Kreis” der Tatverdächtigen und er wurde als Zeuge vernommen. Die Ermittlungen gegen ihn wurden eingestellt, weil man ihm nichts nachweisen konnte. Ebenfalls in diesem Zusammenhang vernommen wurde ein Mann namens Enrico T. Dieser gilt als Unterstützer des NSU und soll unter anderem eine der Tatwaffen besorgt haben, mit denen das NSU-Trio von 2000 bis 2009 mehrere Menschen getötet haben soll. Angeblich habe Enrico T. pädokriminelle Neigungen, hieß es. Er selbst brachte die Ermittler 1993 auf die Spur von Uwe Böhnhardt. [12] Anfang 2017 wurde bekannt, dass Böhnhardt für den Tatzeitpunkt kein Alibi hatte. Trotzdem wurden die Ermittlungen aufgrund eines “aufgeräumten Eindrucks” des vorbestraften Böhnhardt eingestellt. Die Ermittlungen weisen massive Lücken auf, berichtet Die Welt/n24.de. Die Leiche des Jungen wurde 1993 in der Nähe eines Garagenkomplexes gefunden, in dem die Mitglieder des NSU später Bomben hergestellt haben sollen. [20] Der Mord an dem Neunjährigen ist bis heute nicht aufgeklärt. Über Details zu diesem Fall berichtete unter anderem Spiegel-Online [Link zum Web-Archiv].
- Eine der Tatwaffen des NSU wurde von einem Unterstützer beschafft und soll von einem Schweizer Staatsbürger stammen. Verblüffend ist, dass dieser Unterstützer und der Schweizer Staatsbürger genauso wie Uwe Böhnhardt bereits in der Ermittlungsakte zu einem Kindermord 1993 auftauchen. [20]
- Gegen einen weiteren bekannten, bis heute aktiven Thüringer Neonazi wurden 1995 wegen sexualisierter Gewalt gegen Kinder ermittelt – die Ermittlungen wurden eingestellt. [8]
- Einer der Hauptzeugen im NSU-Prozess, der frühere Anführer des “Thüringer Heimatschutzes” und ehemaliger V-Mann des Verfassungsschutzes (bis 2001), sitzt wegen sexualisierter Gewalt gegen Minderjährige seit 2014 im Gefängnis. Die Webseite Thueringen24.de berichtet, er wäre wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen, Beihilfe zu sexuellem Missbrauch und Förderung von Prostitution in 66 Fällen zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Die Opfer waren Jungen. [9], [13], [15] Als Peggys Leiche im Sommer 2016 gefunden wurde, stellten die Ermittler fest, dass der Fundort genau auf halbem Wege zwischen dem Wohnort und der Arbeitsplatz dieses verurteilten Neonazis liegt. Dieser hatte sich lange geweigert, eine DNA-Probe abzugeben – im November 2016 waren seine Rechtsmittel dagegen erschöpft, eine DNA-Probe wurde genommen. [16] Ergebnisse sind uns nicht bekannt.
- Die Thüringer Neonazis hatten weitere Kontakte auch ins Rotlichtmillieu und in die organisierte Kriminalität, insbesondere nach Litauen. 1999 haben Thüringer Mitglieder gemeinsam mit Menschen aus Litauen einen Geldtransporter überfallen und mit der Beute ein Bordell finanziert. Ob damals auch Gelder an die 1998 untergetauchten NSU-Mitglieder geflossen sind, ist fraglich. [8]
- In den Tagesthemen erklärte einer der Opfer-Anwälte aus dem NSU-Prozess 2016, nach seinen Informationen habe einer der Neonazis aus dem Umfeld des NSU eine Hütte in der Nähe des Fundorts von Peggys Leiche. [9] Die Internetseite thueringen24.de berichtete, ihr sei zugetragen worden, dass diese Hütte Enrico T. gehöre. [13] (s.o.)
- Der Ermittlungsleiter der “Soko Bosporus”, Wolfgang Geier, der die Morde, die inzwischen dem NSU zugeordnet werden, anfangs als Streitigkeiten unter Migranten untersuchen ließ, ist der gleiche, der auch die “Soko Peggy II” leitete (siehe oben Chronologie Peggy). [17], [22] Fehler in den Verhören der “Soko Peggy II” waren Ursache für das Fehlurteil gegen Ulvi K. Auch Ulvi K. hat einen türkischen Vater, so dass in beiden Fällen erst Menschen mit Migrationshintergrund verdächtigt wurden und Spuren ins rechte Milieu vorschnell ausgeschlossen wurden, kritisierte die Linke-Politikerin Martina Renner im Interview mit dem Hamburger Abendblatt. [17] Der Ermittlungsleiter ist inzwischen pensioniert, wehrte sich aber nach dem DNA-Fund in der Nähe von Peggys Leiche in einem SZ-Interview 2016 gegen den Vorwurf, er habe einseitig ermittelt. Seiner Einschätzung nach habe es keine Parallelen zwischen den beiden Ermittlungsverfahren gegeben. [17]
- Wenige Tage nach Peggys Verschwinden soll Peggys Mutter einen “Hassbrief mit rechtsextremem Hintergrund” erhalten haben, weil sie mit einem Türken liiert sei. Die Nebenklägervertreter im NSU-Prozess stellten im Herbst 2016 einen Antrag, zu prüfen, ob dieser Brief von Uwe Mundlos stammen könne, der seine Briefe immer mit Schreibmaschine abgefasst habe. Als die FAZ diese Information veröffentlichte, gab es aber keine weiteren Indizien zu dieser Spur. Der Artikel verweist ausdrücklich darauf, dass dieser Zusammenhang auch im Antrag der Nebenklägervertreter sehr abgeschwächt mit vielen Konjunktiven formuliert worden sei. [14]
- Und auch zwischen der Ermordung der Polizistin Michele Kiesewetter durch den NSU und dem Mord an Peggy gibt es eigenständige Verbindungen, die nichts mit der DNA-Spur zu tun haben. www.tagesschau.de berichtete von Verbindungslinien, die an schlechte Agentenromane erinnern: So war an der Suche und der Sonderkommission zum Mord an Peggy eine Polizistin aus Thüringen beteiligt, die eine enge Freundin von Michele Kiesewetter war. Später wurde diese Polizistin vom Dienst suspendiert, weil sie interne Informationen weiter gegeben haben soll – an ihren Lebensgefährten, der eine Security-Firma betreibt, in der angeblich Neonazis gearbeitet haben. Zuvor war diese Polizistin mit Kiesewetters Patenonkel liiert, der 2007, wenige Tage nach dem Mord an Michele Kiesewetter, bereits behauptete, dieser Mord stehe mit den bundesweiten “Türkenmorden” (siehe Chronologie NSU oben) in Zusammenhang. Offiziell hingegen wurde erst 2011 bestätigt, dass der NSU für die Mordserie an Türken in Deutschland verantwortlich war. Bis dahin ging die Polizei von Taten im Migrantenmillieu aus. [8]
- Desweiteren haben uns Mitarbeiterinnen von Beratungsstellen anonymisiert berichtet, dass sie Austeiger/innen beraten, die berichten, dass sie von NSU-Mitgliedern oder Sypathisant/innen sexuell ausgebeutet worden sind. Darüber gibt es aber keine Quellenangabe, denn die Beratungsstellen unterliegen der Schweigepflicht.
- Zwischen den beiden Einsätzen des Spurensicherungsteams lagen 5 Jahre (2011 im Wohnwagen des NSU, 2016 am Fundort von Peggys Leiche). Ist es möglich, dass ein Spurensicherungsteam (!) 5 Jahre lang seine Geräte nicht ausreichend reinigt? Nach Angaben des Thüringer Landeskriminalamtes würden die Hilfsmittel der Spurensicherung “nach jedem Einsatz” gründlich gereinigt, berichtete ntv. Andere Experten werden zitiert, dass die Ausrüstung von Spurensicherungsteams nach jedem Einsatz chemisch, thermisch und biologisch gereinigt werden müssten, u.a. um Enzyme zu beseitigen. [19] Und dabei soll ein fingernagelgroßes Stück Stoff 5 Jahre lang nicht vernichtet worden sein?
- Wie hat das Stück Stoff vom Kopfhörer den Brand im Wohnmobil überstanden?
- Und warum ist die DNA von Uwe Böhnhardt dann nicht schon an anderen falschen Orten gefunden worden – warum ausgerechnet an Peggys Leichenfundort? Der DNA-Fund verbindet ausgerechnet zwei der spektakulärsten Kriminalfälle der deutschen Nachkriegsgeschichte.
- Ein mögliches Verfahren wegen des pädokriminellen Materials im Besitz des NSU-Trios, insbesondere auf Beate Zschäpes Rechner, wurde eingestellt, weil der Vorwurf des zehnfachen Mordes schwerer wiegt. Was aber passiert, wenn Beate Zschäpe wegen der Morde frei gesprochen wird, weil ihr keine Beteiligung nachgewiesen werden kann? Werden die Fragen rund um mögliche Kindesmisshandlung im Umfeld des NSU dann noch geklärt?
- Zu wem gehören die Kinder, mit denen Beate Zschäpe gesehen worden ist? Warum hat eines dieser Kinder sie “Mama” genannt? Aus Fällen organisierter Kindesmisshandlung ist bekannt, dass Kinder sehr früh darauf trainiert werden, in der Öffentlichkeit nicht aufzufallen, z.B. indem sie zu fremden Menschen in der Öffentlichkeit “Mama” oder “Papa” sagen, um keinen Verdacht zu erregen. Was im Fall Zschäpe also auf den ersten Blick irritierend wirkt, könnte ein Beleg dafür sein, dass dieses Kind “gut trainiert” gewesen ist, also aus organisierten Gewaltzusammenhängen kommt.
- Wenn dies Kinder von Freunden waren, wie sie im Prozess angab, werden diese Kinder zur Verifizierung dieser Aussage vernommen?
- Wie finanzierte sich der NSU? Gibt es größere, ungeklärte Beträge, die aus dem Handel mit Kindern bzw. aus der sexualisierten Ausbeutung von Kindern stammen können? Ist der Handel mit solchem Material der Grund dafür, warum Datenträger mit entsprechenden Dateien gefunden wurden?
- Im Oktober 2016 (siehe Chronologie NSU) rollte die Thüringer Polizei 70 ungeklärte Tötungen seit 1990 wieder auf. Was hat sie heraus gefunden? Gibt es neue Spuren?
- Immer wieder erschütternd sind die Zahlen von Gewalt gegen Kinder, die bei solchen Gelegenheiten auftauchen. Die Polizei untersucht erneut 70 ungeklärte Tötungen seit 1990, also in 26 Jahren. Das sind knapp 3 ungeklärte (!) Tötungen pro Jahr. Das bedeutet: Alle vier Monate wird ein Mensch in Thüringen getötet, und niemand weiß, wer es war? Wieviele aufgeklärte Todesfälle mit Fremdeinwirkung gibt es in dieser Zeit? Wie kann man Menschen, insbesondere Kinder, besser schützen vor tödlicher Gewalt? Wie sehen diese Statistiken in anderen Bundesländern aus?
- Die Welt/n24 veröffentlichte im Februar einen Artikel, in dem massive Ermittlungsversäumnisse im Mordfall an einem Jungen 1993 aufgeführt werden. Damals schon waren Böhnhardt und ein Unterstützer des NSU verdächtig, die Ermittlungen verliefen aber im Sande. Werden diese Vorwürfe weiter verfolgt? Werden die Ermittlungen in diesem Fall wieder aufgenommen? [20]
Offene Fragen zur Verbindung von NSU, Geheimdienstaktivitäten und sexualisierter Gewalt gegen Kinder wirft im Juli 2018, kurz vor dem Urteil gegen Beate Zschäpe, auch ein aktueller Artikel des Online-Magazins Telepolis auf [Link zum Web-Archiv].