Diskussion um die Löschung von Missbrauchsabbildungen

Eine Recherche von Journalisten für den NDR und den Spiegel hat Anfang Dezember 2021 ergeben, dass es sehr einfach ist, Missbrauchsabbildungen aus dem Internet zu löschen. Nur – die Behörden tun es kaum. Das ist schlimm für die Betroffenen und wirft Fragen nach den Aufgaben von Ermittlungen auf, denn Löschung ist auch ein wichtiger Bestandteil von Prävention, sagen Fachleute.

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12.1.24: Buch zum Thema hinzugefügt
1.3.22: Weitere Artikel und Details hinzugefügt]


Wir fassen die Rechercheergebnisse hier nur sehr kurz zusammen und empfehlen sehr, für viele interessante weiterführende Details in die Originalquellen des Rechercheteams hineinzugucken oder die Artikel zu lesen (die Journalisten haben bewußt auf triggernde Bilder und Sprache verzichtet). Eine Liste einger der veröffentlichten Berichte finden Sie unter diesem Text.

 

Die Recherche: Löschung ist einfach

 

Die erste Erkenntnis der Recherchen, die manche überraschen mag, ist: Die sogenannte „Kinderpornografie“ [1] befindet sich häufig gar nicht im Darknet, sondern im sogenannten „Clearnet“. Im Darknet werden dann nur Links zu den kriminellen Bildern und Videos veröffentlicht, in Foren geteilt und gehandelt. Laut Angaben des Rechercheteams wäre es technisch auch unsinnig, die Dateien selbst im Darknet zu speichern, weil Up- und Downloads durch die speziellen Verschlüsselungsmaßnahmen im Darknet viel zu lange dauern würden. Im „Clearnet“ liegen diese kriminellen Dateien also bei irgendwelchen Speicherplatz-Anbietern (Hostern), die gar nicht wissen, was ihre Kunden bei ihnen speichern.

Diese Situation haben sich die Journalisten von NDR und Spiegel zunutze gemacht. Sie haben diese Hoster gezielt angeschrieben und sie darauf aufmerksam gemacht, dass unter bestimmten Links, die im Darknet gehandelt werden, Missbrauchsabbildungen auf ihren Servern liegen. Und siehe da: Die angeschriebenen Firmen haben die Links meist innerhalb weniger Stunden gelöscht.

Die Journalisten schreiben, sie hätten im derzeit größten Forum rund 80.000 Links gemeldet und in wenigen Stunden Arbeit 13,55 Terrabyte Material löschen lassen. Das entspricht einem Jahr 24 Stunden lang Filmmaterial in HD-Qualität, also einer enormen Menge an Missbrauchsabbildungen.

Diese Löschaktionen haben noch einen weiteren Effekt gehabt, der überraschend war, berichten die Journalisten: Die Mitglieder der entsprechenden Darknet-Foren haben aufgeschreckt reagiert, weil sie es nicht gewöhnt sind, dass ihre Links lahmgelegt werden. Offenbar werden solche Links selten gemeldet und die Foren und ihre Mitglieder werden in Ruhe gelassen.

 

Was daran problematisch ist

 

Nach diesen Erfahrungen haben sich die Journalisten gefragt, warum eigentlich Ermittlungsbehörden weltweit diese Löschungen nicht veranlassen. Insbesondere nach der Zerschlagung des pädokriminellen Netzwerks “Boystown” waren die Links zu den dortigen Bildern wenige Tage nach dem Ermittlungserfolg bereits wieder in einem anderen Forum verfügbar.[11]

An den Speicherplatz-Anbietern im Clearweb, bei denen die Bilder abgelegt werden, liegt es nicht, fanden die Journalisten heraus: In Gesprächen mit diesen Firmen wurde deutlich, dass diese sehr beunruhigt waren und Gewaltdarstellung auf ihren Servern nicht haben wollten. Sowohl im Inland als auch im Ausland. [11]  Die Bereitschaft der Hoster, an Löschung und damit Störung der pädokriminellen Foren mitzuwirken, war hoch. Manche kleine Hoster haben ihren Betrieb nach den Hinweisen der Journalisten sogar eingestellt.

Mehr noch: Fachleute (im Strg-F-Film [2] zitiert wird die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main) berichten, dass die Mitglieder pädokrimineller Foren in Vernehmungen aussagen, dass sie von anderen Mitgliedern im Forum angestiftet und unter Druck gesetzt wurden, immer mehr und härteres Material hochzuladen, also immer mehr, häufiger oder extremer Kinder zu misshandeln. Die Störung und Löschung solcher Foren kann also auch präventive Wirkung haben – sowohl für potenzielle Täter.innen wie Opfer. Die Gewaltspirale im Netz dreht sich demnach sonst immer weiter, je unbeobachteter sich die Täterinnen und Täter fühlen können. [11]

Selbst der ehemalige Innenminister Seehofer wird im Film gezeigt, wie er erklärt, das Löschung eine selbstverständliche Aufgabe der Ermittlungsbehörden ist. Nicht zuletzt, weil es für Menschen, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind, unerträglich ist, zu wissen, dass ihre Bilder weiterhin im Netz verfügbar sind, konsumiert und zu Geld gemacht werden. Nach Veröffentlichung dieser Recherchen haben Kinderschutz-Verbände und Psychiatrie-Expert*innen dies in einer gemeinsamen Presseerklärung bekräftigt. [9]

 

Warum also lassen BKA und Behörden die Bilder nicht löschen?

 

Das haben die Journalisten im Bundeskriminalamt (BKA) nachgefragt. Die dortigen Lösch-Aktivitäten sind, verglichen mit den Löschungen der Journalisten innerhalb weniger Stunden, eher gering. Das BKA antwortete, man müsse sich mit den vorhandenen Kapazitäten und personellen Möglichkeiten abfinden und Prioritäten setzen. Und da läge die Priorität eben deutlicher auf Strafverfolgung und Auswertung des Bildmaterials als auf deren Löschung. Umgangssprachlich formuliert ist also das Argument: “Fürs Löschen haben wir keine Zeit und keine Leute.”

 

Fazit der Infoportal-Redaktion

 

Natürlich ist es sinnvoll, dass die Ermittlungsbehörden intensiv die Strafverfolgung vorantreiben. Eine Löschung wäre aber ja auch gar kein Widerspruch und kostet, das haben die Journalisten bewiesen, auch nicht viel Zeit.

Auch Prävention und Opferschutz gehören zu den Aufgaben von Polizei und Innenministerien. Und diese Aufgaben werden offenbar hinter der Strafverfolgung zurückgestellt – womit der Gewaltspirale in pädokriminellen Foren zu wenig entgegen gesetzt wird. Außerdem kostet das Löschen viel weniger Zeit, als immer wieder neue Tauschforen zu ermitteln und zu schließen – die danach nichts anderes tun müssen, als die nicht gelöschten Bilder neu zu verlinken. Im Endeffekt wäre das Löschen-lassen also eine sehr effektive Methode im Umgang mit den knappen Ressourcen bei den Ermittlungsbehörden, denn mit einer Löschung werden Links in gleich mehreren Foren lahmgelegt. [12]

Gleichzeitig wird mit dem Kampf gegen Darstellungen von Gewalt an Kindern immer wieder vehement für mehr Überwachungsmaßnahmen im Internet (z.B Vorratsdatenspeicherung, Verschlüsselungs-Hintertüren etc.) argumentiert. Das ist fragwürdig, wenn die Behören gleichzeitig die relativ einfachen, gesetzlich längst ermöglichten, politisch erwünschten und sogar beauftragten Maßnahmen zur Löschung von Bildern aus dem „ganz normalen Internet“ nicht umsetzen. [7]

 

Updates

  • Im September 2023 erscheint die Recherche als Buch von Daniel Moßbrucker, “Direkt vor unseren Augen – Wie Pädokriminelle im Internet vorgehen und wie wir Kinder davor schützen” (Kösel-Verlag) [13]
  • Ende Januar 2022 berichteten die Journalisten, dass inzwischen mehrere EU-Abgeordnete verschiedener Parteien und Länder eine Stellungnahme der EU-Kommission eingefordert haben. Die Kommission will nämlich Anfang März 22 einen Gesetzentwurf vorlegen, mit dem Messenger, Apps und E-Mail-Dienste verpflichtet werden sollen, technische Überwachungslösungen einzubauen. [10]

 

Quellen:

 

[1] Warum wir die Begriffe „Kinderpornografie“ und “Missbrauch” eigentlich vermeiden, beschreiben wir in unseren Begriffserklärungen. Wir verwenden diese Worte hier, weil wir möchten, dass dieser Artikel über Suchmaschinen auf unserer Seite oder aus dem Netz gefunden werden kann.

[2] Videoreportage von Strg-F, veröffentlicht am 2.12.2021, „Pädokriminelle Foren: Warum löscht niemand die Aufnahmen?“, abgerufen am 17.3.2023 [Link zum Web-Archiv]

[3] Artikel auf Spiegel Plus am 2.12.2021, „Tausende Gigabyte Missbrauch – und niemand kümmert sich darum“, abgerufen am 17.3.2023 [Link zum Web-Archiv]

[4] Panorama, ARD, am 2.12.2021, “Kindesmissbrauch: Warum löscht die Polizei die Bilder nicht?“, abgerufen am 17.3.2023 [Link zum Web-Archiv]

[5] Bericht auf Tagesschau investigativ vom 2.12.2021, „Ermittler lassen Bilder nicht löschen“, abgerufen am 17.3.2023 [Link zum Web-Archiv]

[6] Hintergrund-Interview mit dem Journalisten Daniel Moßbrucker im Podcast „Lage der Nation“ Nr. 269 am 2.12.2021, abgerufen am 17.3.2023 [Link zum Web-Archiv]

[7] Einen vertiefenden Artikel über Defizite bei Online-Ermittlungen gegen pädokriminelle Netzwerke finden Sie beim Verein Digitalcourage, “Kinderschutz: Vorratsdatenschutz hilft nicht weiter” vom 15.7.2020, abgerufen am 17.3.2023 [Link zum Web-Archiv]

[8] Panorama, ARD, am 21.12.2021, “Kinderschützer zu Panorama-Recherche: Ohrfeige für Betroffene“, abgerufen am 17.3.2023 [Link zum Web-Archiv]

[9] Gemeinsame Presseerklärung: Stellungnahme des Kompetenzbereichs Prävention Psychische Gesundheit im Kompetenznetzwerk Präventivmedizin Baden-Württemberg, erarbeitet im Namen des Kompetenzzentrums Kinderschutz in der Medizin Baden-Württemberg und in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) und dem Kinderschutzbund Bundesverband, abgerufen am 14.1.2022

[10] tagesschau.de, 28.1.22, “EU-Abgeordnete fordern Aufklärung“, abgerufen am 17.3.2023 [Link zum Web-Archiv]

[11] Warum pädokriminelle Foren durch Löschungen empfindlich gestört werden, erklären die Journalisten etwas ausführlicher unter der Zwischenübercshrift “Nutzer:innen zu Tode nerven” in diesem Artikel: netzpolitik.org, 28.1.2022, “Das Netz vergisst nichts, solange es nicht vergessen soll“, abgerufen am 17.3.2023 [Link zum Web-Archiv]

[12] Eine ausführlichere Darstellung, wie das Löschen von Bildern Straftaten verhindern und bei Ermittlungen sogar helfen könnte, findet sich im gleichen Artikel wie in Quellenangabe [11] unter der Zwischenüberschrift “Löschen behindert Strafverfolgung nicht, sondern unterstützt sie”.

[13] Buch von Moßbrucker, Daniel, “Direkt vor unseren Augen – Wie Pädokriminelle im Internet vorgehen und wie wir Kinder davor schützen”, September 2023, Droemer-Verlag