Haftstrafen für Elternpaar nach Teufelsaustreibungen
Im März 2011 wird ein Ehepaar aus Steinheim im Kreis Höxter/NRW verurteilt, die eigene Tochter elf Jahre lang sexuell misshandelt zu haben. Teilweise sollen diese Taten im Rahmen von Teufelsaustreibungen stattgefunden haben.
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Ist Rituelle Gewalt in Deutschland strafbar?
Die Tochter des Paares hatte zum Prozesszeitpunkt ein Kind von ihrem Vater bekommen. Mindestens drei Vergewaltigungen hätten im Rahmen von Teufelsaustreibungen stattgefunden, sah das Landgericht Paderborn als erwiesen an. Das Urteil: Für 48 nachgewiesene Inzest-Taten muss der Vater neuneinhalb Jahre, die Mutter sechs Jahre ins Gefängnis. [1]
Parallel zum Gerichtsverfahren vor dem Landgericht Paderborn schaltete sich auch die Staatsanwaltschaft in Hannover ein. Sie ermittelte wegen des Verdachts, dass das Ehepaar auch mit dem ungeklärten Verschwinden eines 38jährigen Hamelners im Jahre 2004 zu tun gehabt habe. [1], [2] Für diese Suche habe man in Hameln-Pyrmont im Mai 2011 ein Grab öffnen lassen. [3] In Hameln hatte das verurteilte Ehepaar vor der Zeit in Steinheim gewohnt [2], [4] und der Vermisste sei zu ihnen gezogen. [5]
Im Rahmen des Prozesses kamen auch andere “typische” Merkmale Ritueller Gewalt in Zeugenaussagen zur Sprache. So hielten die Täter/innen ihre sechs Kinder sehr isoliert von der Außenwelt [1], die Kinder des Ehepaars hätten z.B. ihr eigenes Erbrochenes essen müssen (“Ekeltraining”) [9], den Kindern sei Spielzeug verboten worden [6] und sie hätten hungern müssen. [7] Die sexuellen Übergriffe seien zu festen Wochentagen oder Anlässen passiert. Die Tochter sei auch von anderen Männern sexuell misshandelt worden. Die Mutter habe die Taten des Vaters vielfältig unterstützt (z.B. durch Festhalten). [6] Außerdem sei die Familie zwischen 1993 und 2001 insgesamt 9x umgezogen – und dabei immer wieder von anderen Jugendämtern betreut worden (“Jugendamts-Hopping”). [2]
Der Vater gestand im Prozess: Es habe einen einzigen einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit seiner Tochter gegeben – den, bei dem er das Kind seiner Tochter gezeugt habe. Die anderen Vorwürfe bestritt er. [8] Die Mutter schwieg während der gesamten Prozesszeit. [4]
Quellen:
[1] Zeitungsartikel Neue Westfälische vom 4.3.2011, “Lange Haft für langes Martyrium”. Das Aktenzeichen des Urteils beim Landgericht Paderborn ist 112 Js 865/10 – 05 KLs 40/10 vom 14.3.2011. Die Revision vor dem Bundesgerichtshof wurde unter dem Aktenzeichen 4StR 360/11 am 20.9.2011 verworfen. Der BGH-Beschluss ist nicht in der BGH-Datenbank enthalten, weil es sich um einen Formularbeschluss handelte.
[2] Fernsehsendung “Lokalzeit OWL”, WDR Bielefeld 2.3.2011
[3] Zeitungsartikel Neue Westfälische vom 27.9.2011, “Ermittler ließen Grab öffnen”
[4] Fernsehsendung “Lokalzeit OWL”, WDR Bielefeld 14.2.2011
[5] Zeitungsartikel Bild-Zeitung vom 29.1.2011, “Quälte dieses Ehepaar einen Freund zu Tode?”, abgerufen am 16.3.2023 [Link zum Web-Archiv]
[6] Eigene Prozessbeobachtung der Infoportal-Redaktion (handschriftliche Notizen)
[7] Zeitungsartikel Neue Westfälische vom 15.2.2011, “Exorzisten-Paar schweigt weiter”
[8] Zeitungsartikel Neue Westfälische vom 4.3.2011, “Exorzismus: Schuldsprüche wahrscheinlich”
[9] Zeitungsartikel Neue Westfälische vom 10.2.2011, “24jährige erlebte die Hölle”
Sind Kinder an Ritueller Gewalt beteiligt?
Das Ehepaar hatte insgesamt sechs Kinder. Die Taten begannen, als die betroffene Tochter 13 war. [1]
Als die Ermittlungen begannen, lebten noch zwei (das inzwischen 24jährige Opfer und ihr 21jähriger Bruder) bei den Eltern, die vier Geschwister waren bereits vom Jugenamt woanders untergebracht worden. [2]
Verurteilt wurde das Paar für Vergewaltigung der betroffenen Tochter im Rahmen von Teufelsaustreibungen. [1] Die Geschwister und einige Verwandte wurden teilweise im Prozess als Zeugen vernommen und sagten aus, dass die Kinder von den Eltern misshandelt worden seien (Schläge, Nahrungsentzug, Isolierung von der Außenwelt, Ekeltraining, siehe auch Rubrik “Urteile in Deutschland”). [2] Eigene Gerichtsverfahren wurden dazu nach unserer Kenntnis nicht eingeleitet.
Quellen:
[1] Zeitungsartikel Neue Westfälische vom 4.3.2011, “Lange Haft für langes Martyrium”
[2] Eigene Prozessbeobachtung der Infoportal-Redaktion (handschriftliche Notizen)
Woher kommen diese Kinder?
Das Opfer dieses Ehepaares war eine ihrer Töchter.
Quellen:
[1] Zeitungsartikel Neue Westfälische vom 4.3.2011, “Lange Haft für langes Martyrium”
Welche Rolle spielt sexualisierte Gewalt?
Zugegeben hat der Vater der Familie im Prozessverlauf nur einen einzigen Geschlechtsverkehr mit seiner Tochter – der ließ sich auch nicht leugnen, weil sie während der Prozess-Laufzeit ein Kind von ihrem Vater zur Welt brachte.
Das Gericht sah in seinem Urtail 48 Inzest-Taten sowie vier Vergewaltigungen über einen Zeitraum von 12 Jahren als erwiesen an. [1]
Der Vater der Familie habe ein starkes sexualisiertes Verhalten gezeigt, sagten Zeugen im Prozess aus. Im Haus hätten Gummipuppen und Pornohefte offen herum gelegen, auch in den Kinderzimmern oder in der Küche. [2] Ein ehemaliger Vermieter sagte im Prozess aus, der verurteilte Vater habe ihm Nacktfotos von seiner Tochter zugeschickt. [2] Das Gericht sah außerdem als erwiesen an, dass die Tochter in acht Fällen mit einem Kreuz unter Angabe von Teufelsaustreibungen vergewaltigt wurde [3], [4]. Daran sei auch die Mutter beteiligt gewesen, urteilte das Paderborner Landgericht.
Quellen:
[1] Zeitungsartikel Neue Westfälische vom 4.3.2011, “Lange Haft für langes Martyrium”
[2] Zeitungsartikel Neue Westfälische vom 10.2.2011, “24jährige erlebte die Hölle”
[3] Eigene Prozessbeobachtung der Infoportal-Autorin (Notizen)
[4] Zeitungsartikel Neue Westfälische vom 26.1.2011, “24jährige bekommt Kind vom eigenen Vater”
Wer sind die Täter/innen?
Der verurteilte Vater war zum Prozesszeitpunkt 49 Jahre alt und gelernter Konditor. [1] Seine mitverurteilte Frau war 45 Jahre alt und arbeitslos. [2]
Quellen:
[1] Zeitungsartikel Westfalen-Blatt Höxter vom 8.2.2011, “24-Jährige bekommt Kind vom Vater”
[2] Zeitungsartikel Neue Westfälische vom 26.1.2011, “24jährige bekommt Kind vom eigenen Vater”
Psychologische / medizinische Hintergründe
Die Tochter wurde von einer Gutachterin während des Gerichtsverfahrens als glaubhaft eingestuft. Sie sei durch Isolation und Misshandlungen so eingeschüchtert worden, dass sie sich nicht gewehrt habe. [1], [2]
Da die Eltern ablehnten, begutachtet zu werden, musste ein weiterer Gutachter aufgrund von Aktenlage und Beobachtung des Prozesses ein Gutachten anfertigen. Darin bescheinigte er den beiden auffällige Persönlichkeiten, aber volle Schuldfähigkeit. Was in den Eltern bei diesen Taten vorgegangen sei, konnte der Gutachter auf Nachfrage des Gerichtes nicht beantworten. [1], [2]
Quellen:
[1] Zeitungsartikel Neue Westfälische vom 17.2.2011, “Psychologin hält Opfer für glaubwürdig”
[2] Eigene Prozessbeobachtung der Infoportal-Autorin (Notizen)
Religiöse und Ideologische Hintergründe
Das Ehepaar hat bei seinen “Teufelsaustreibungen” Kreuze und Rosenkränze auch im Rahmen sexualisierter Gewaltanwendungen benutzt, das sah das Gericht als erwiesen an. [1], [4] Das Elternhaus sei voller Engel-Bilder und Voodoo-Symbole gewesen, berichteten Zeugen im Prozess. [2]
Das Erzbistum Paderborn antwortete auf Presseanfragen, diese Teufelsaustreibungen seien in keiner Weise von der Kirche autorisiert oder unterstützt gewesen. [3]
Ein 38jähriger Mann aus Hameln, der zeitweise bei der Familie wohnte und 2004 verschwand (siehe Rubrik “Urteile Deutschland”), soll nach Vermutung von Verwandten des Verschwundenen von den Verurteilten in eine Art “Sekte” gezogen worden sein, berichtete die Bildzeitung. [5] Auch er habe an religiösen Ritualen des verurteilten Paares teilgenommen, hieß es im WDR. [6]
Quellen:
[1] Zeitungsartikel Neue Westfälische vom 4.3.2011, “Lange Haft für langes Martyrium”
[2] Eigene Prozessbeobachtung der Infoportal-Autorin (Notizen)
[3] Sendung “Lokalzeit OWL”, WDR Bielefeld 14.2.2011
[4] Zeitungsartikel Neue Westfälische vom 25.1.2011, “24jährige bekommt Kind vom eigenen Vater”
[5] Zeitungsartikel Bild-Zeitung vom 29.1.2011, “Quälte dieses Ehepaar einen Freund zu Tode?”, abgerufen am 10.5.2017
[6] Fernsehsendung “Lokalzeit OWL”, WDR Bielefeld 14.2.2011