Im Prozess gaben sie an, diesen Mord in Satans Auftrag begangen zu haben. Daniel Ruda hatte während seiner Bundeswehrzeit Kontakt zu Neonazis und arbeitete als Wahlhelfer für die NPD.
Aus dieser Szene war er aber schon ausgestiegen, bevor er Manuela kennen lernte.
Neonazi oder nicht?
Vertreter der Bochumer Antifa untersuchen kurz nach der Tat Daniel Rudas Neonazi-Verbindungen. [1] In einem Artikel einer Bochumer Studentenzeitung dazu wird ein Antifa-Vertreter zitiert mit der Kritik:
“Auch dem Bochumer Staatsschutz dürfte bekannt sein, dass immer mehr Neonazis sich in der sogenannten Dark-Wave- und Gruftie-Szene tummeln. Ein Blick in den aktuellen Verfassungsschutzbericht bestätigt das. Es kann nicht angehen, dass die Ermittler zwar die Existenz von Hakenkreuzen und SS-Ruhnen in der Mordwohnung zugeben, aber bei allen weiteren Dingen mauern. Die mutmaßlichen Täter als pathologische Fälle abzustempeln, ist verkürzt. Vielmehr spiegelt auch dieser Mord, … das Menschen verachtende Weltbild der neonazistischen Szene wieder.” [1]
Manuela Ruda beschreibt später in einem Buchartikel, von Menschen aus der NBSM (National Socialist Black Metal)-Szene beeinflusst worden zu sein (siehe unten, Zitat bei “Vampirismus”).
Teufelsglaube oder nicht?
Daniel Ruda schrieb 2004 in einem Buch, das er in der Haft veröffentlichte, dass er die Stimme des Teufels vor Gericht erfunden habe, um seine Frau zu schützen, die die eigentliche Schuld an diesem Mord trage. Er selbst sei kein Satanist gewesen. [2]
Manuela Ruda wandte sich mit 13 Jahren der “Schwarzen Szene” oder Gothic-Szene zu und bezeichnete sich selbst bis 2006 als Anhängerin des Satanismus. [3] Außerdem fühlte sie sich als Vampirin (Details dazu siehe unten). [3] In einem Buchartikel 2008 beschrieb sie selbst die “Schwarze Szene” so:
“Das schwarze Schönheitsideal ist geprägt von barocken Gewändern, Samt, Farben wie schwarz, lila, Gold, Kerzenscheinromantik, dem Reiz verfallener Bauwerke und alter Kirchen, dunklen Wäldern, Mystik, tiefer Sehnsucht und Theatralik. Die weitverbreitete Vorliebe für Friedhöfe mag mit dem Gefühl für Vergänglichkeit oder auch mit dem Sinn für Dramaturgie und Tragik zusammenhängen.” [4]
Die oft martialische Optik dieser Mode ist auf Schockeffekte ausgelegt. Satanistische Symbole wie das Pentagramm gehören hier eher zum Stil und zur Ästhetik, als dass sie eine wirklich religiöse Bedeutung haben, sagen Sektenexperten. [5]
Im weiteren Verlauf ihres Gastartikels macht Manuela Ruda aber deutlich, dass die Gefahr, dass Satanist/innen gewalttätig werden oder Sachbeschädigung betreiben, durchaus ideologisch begründet ist:
“Der ‘wahre’ Satanismus fordert keine Tier- oder Menschenopfer, so sagt es auch die Satanische Bibel. Allerdings propagiert er schon eine eindeutige Rücksichtslosigkeit und Anarchie insofern, als dass nach diesen Lehren jeder legitimiert ist, sein eigenes Gesetz zu kreieren, was ein Miteinander faktisch unmöglich macht. Darüber hinaus gibt es freilich noch eine Reihe anderer Interpretationen des Satanismus, die deutlich mehr aktive Gewaltbereitschaft an den Tag legen.
In diesem Sinne müsste der Satanismus jede Handlung eines Menschen rechtfertigen, ist diese doch aus dem freien Willen entstanden und damit rechtmäßig. […]
Der eine trägt ein Pentagramm zur Schau und äußert sich auf diesem Wege indirekt, der andere zündet als aktives Glaubensbekenntnis die nächstgelegene Kirche an. […]
Bei vielen entpuppt sich diese Haltung als vorübergehendes Phänomen, das sich spätestens im Laufe einer Entwicklung von neuen Werten und Zielen wieder verflüchtigt und somit als Phase angesehen werden kann. Andere jedoch finden diese Abgrenzung nicht und es kommt zu einer tieferen Identifikation mit der Thematik. […]
Gibt es Überschneidungen zwischen den beiden Szenen?
Ernstzunehmender Satanismus hat in den meisten Fällen nichts mit der Gothic-Szene zu tun, wo in vielen Bereichen der Aspekt der Pose oder des Images im Vordergrund steht. Ein ‘wahrer’ Satanist definiert sich für gewöhnlich nicht durch schwarze Gewandung oder demonstrative Kreuze, sondern agiert eher im vor der breiten Öffentlichkeit Verborgenen.” [6, Hervorhebungen wurden aus dem Original übernommen]
Joachim Keden, Sektenbeauftragter der evangelischen Kirche im Rheinland erklärte 2001 gegenüber der Rheinischen Post, dass allein im Rheinland 300 bis 500 Menschen zu harten Kern des Satanismus gehören, mit steigender Tendenz. Meist sei die Zugehörigkeit zur Gothic-Kultur nur eine Art “Durchgangsstadium” für Jugendliche. Soziale Rückschläge wie Arbeitslosigkeit könnten aber bei Älteren das Gefühl der Ausweglosigkeit verstärken und in Gewaltfantasien oder Wahnwelten führen. Er führe pro Jahr ca. 300 Gespräche mit Betroffenen und verweist auf die zunehmende Zahl von Kirchen- und Friedhofsschändungen, von denen die Öffentlichkeit oft nichts erfahre.
“Man will keine Unruhe stiften und eventuelle Nachahmer nicht ermutigen.” [7]
Mit einer generellen Kriminalisierung dieser meist jugendlichen Protestbewegung sollte man dennoch vorsichtig sein, schrieb der evangelische Sektenbeauftragte Ingolf Christiansen. [8] Und Rüdiger Hauth, Sektenbeauftragter der westfälischen evangelischen Kirche, bezeichnet Satan in einem Zeitungsinterview als eine Symbolfigur für die antibürgerliche Subkultur. [9]
Ritualmord oder nicht?
Kurz nach der Verhaftung und nachdem die Rudas die Tat in Vernehmungen gestanden haben, spricht der Staatsanwalt von einem Ritualmord. [10] Aber obwohl die Rudas im Prozess ausführlich ihre religiösen Wahrnehmungen bei der Tat schildern (Manuela Ruda berichtet von der Präsenz von Satan und tanzenden Lichtern) weist der Richter die Bezeichnung “Ritualmord” ausdrücklich zurück. Er bezeichnet den Satanismus als “mystisches Brimborium” [11] und “Popanz”, den die Angeklagten erheblich vor sich her geschoben hätten [12] und sagt:
“Es ging in diesem Prozess nicht um Satanismus. Lässt man sich von der Verpackung nicht blenden, ist das Mystische weg. Was bleibt, ist ein gemeines Verbrechen. … Das waren keine echten Wahnvorstellungen. Das waren selbst zurecht gezimmerte Gebilde, und damit sind sie auch nicht schuldunfähig [13].”
Es komme nicht darauf an, was die Angeklagten geglaubt hätten, sondern darauf, ob sie anders hätten handeln können, wird der Richter in der Neuen Westfälischen weiter zitiert. [13], [14]
Der Satansglaube der Rudas wird als Persönlichkeitsstörung gewertet (siehe psychologische und medizinische Hintergründe) und führt zu einem Gutachten über “verminderte Schuldfähigkeit”. Guido Grandt schreibt dazu:
“Eine fatale Einschätzung! Nur weil jemand an Satan glaubt, ist er nicht automatisch vermindert schuldfähig und in seiner Persönlichkeit gestört.” [15]
Und weiter:
“Wenn man diese Fakten nüchtern betrachtet, dann muss wirklich gefragt werden, was noch geschehen muss, wenn zwei Menschen im Namen Satans einen anderen grausam niedermetzeln, um endlich einen “Ritualmord” zu akzeptieren? Vielleicht helfen die Worte von Kriminalhauptkommissar Hans-Willy Schäfer von der Kripo Bochum weiter, dem Leiter der damaligen Mordkommission, der mir berichtete, dass Satanismus durchaus eine Rolle in diesem bizarren Mordfall gespielt hat. Die Ermittler hätten sich allerdings mit den Verbindungen im Satanismus so gut wie nicht beschäftigt, weil keine Zeit dazu war!” [16]
Vampyrismus / Vampirismus
Zur Unterscheidung dieser beiden Begriffe klicken Sie bitte hier. Manuela Ruda fühlte sich selbst phasenweise als Vampirin [3], und diese Selbstwahrnehmung beschriebt sie 2008 in einem Buchartikel auch als viel präsenter und prägender als den Satanismus. [17]
“Ich wusste natürlich, dass ich weder unsterblich war noch flugtauglich, doch das Flair, die Atmosphäre des Vampirdaseins besaß für mich nichtsdestotrotz eine starke Anziehungskraft. Durch meine intensive Anbindung an die Internetpräsenz der Vampire und die starke Identifikation mit der Rollengestalt, die ich repräsentierte, begannen im Laufe der Zeit einige vormals klare Grenzen zu verschwimmen. Die Realität begann, hinter einer Traumwelt zu verblassen. Der Kontakt zu den anderen Vampirgläubigen tat sein übriges, diese Traumwelt zu bestärken. […]
Der Satanismus spielte zunächst eine eher untergeordnete Rolle. Er stand zunächst nicht im Kontext mit dem Vampirismus, denn normalerweise hat dieser nichts mit Konfession oder Religiösität zu tun. […] So habe ich mir z.B. nie in direktem Kontext mit militanten, gewaltsamen Phrasen oder einer Ritualbeschreibung mit Anleitung zur Köperverletzung eine reelle Gewalthandlung vorgestellt. Besonders konkretes Wissen über das Thema Satanismus hatte ich ebenfalls zum damaligen Zeitpunkt noch nicht. […] Ich denke, die zum damaligen Zeitpunkt vorherrschende Grundstimmung meiner selbst und meiner Umgebung hat sich in der Idee des Satanismus kanalisiert und so einen Ausdruck gefunden. Hinzu kam eine Wechselwirkung mit anderen Personen, die hauptsächlich der NSBM-Szene (National Socialist Black Metal) zugehörig und mit deren Ideologien identifiziert waren.” [17]
Zum einen finden sich laut Manuela Ruda in der Vampir-Szene Live-Rollenspieler/innen, die mit Kartenspielen oder Live-Events unter freiem Himmel die Rolle von Vampiren spielen und sich in Chat-Rooms und Foren im Internet über dieses Hobby austauschen. Bei manchen aber verschwimmen die Grenzen, so Manuela Ruda, so auch bei ihr. Dann schreiben die Anhänger/innen Vampyre mit y statt mit i – zumindest Mitte der 2000er Jahre galt dies als ein Erkennungszeichen, wer es ernst mit der Identifikation meint. Manuela Ruda:
“In diesem Grenzbereich wird es gefährlich, wenn […] es zu einer realen Identifikation mit der Figur des Vampirs kommt. Bei einer solchen Person wird das häufige Spielen eines solchen Rollenspiels den Glauben noch verstärken bzw. den Realitätsverlust noch begünstigen. Das eigentliche Spiel wird zu einer Parallelwelt, der angenommene Charakter im schlimmsten Fall in das wirkliche Leben transferiert. […]
Dies beinhaltet aber in vielen Fällen nicht nur ein reines Beisammensein in barocker Kleidung, sondern auch das kollektive Trinken von (menschlichem) Blut sowie die Ausübung anderer, bedenklicher Praktiken. […] Zwar existiert, sowohl in Schriften als auch in den einschlägigen Internet-Foren, der Grundsatz, dass der Konsum von Menschenblut prinzipiell nur in gegenseitigem Einvernehmen vonstatten gehen darf/soll; auf der anderen Seite ist fast ebenso oft von den ‘Jägern der Nacht’ die Rede, vom ‘Jagen’ und von manipulativem Verhalten, das die ‘Gebenden’ praktisch auf subtile, teils auch sexuelle geprägte Weise dazu überredet, sich Blut entnehmen zu lassen. Unter diesem Aspekt ist es mit der Freiwilligkeit wohl nicht allzu weit her. Weiter erscheinen die Grenzen zwischen der Realität, der Auslebung des Trinkens und Verletzens und der Fiktion sehr dünn. […]
Gerade im vampiristischen Bereich bzw. in der Welt der ‘realen’ Vampyre kam es in der Vergangenheit häufig zu schweren Delikten. Als in diesem Kontext bekannt gewordene Straftäter wären u.a. Richard Trenton Chase, Nicolas Claux oder Peter Kürten zu erwähnen. Sie alle nahmen das Blut ihrer Opfer zu sich und behaupteten, vampirischer Art zu sein. Einer dieser drei hielt bzw. hält sich in der Gothic Szene auf.” [18]
Quellen:
[1] Artikel auf BSZ Online, Nr. 528 (18.7.2001), “Satansmörder war NPD-Wahlhelfer”
[2] Buch Ruda, Daniel, “Fehlercode 211”, Verlag Haag und Herchen Hanau, 2004, hier wiedergegeben nach Buch Grandt, Guido, “Der Satan von Witten”, Knaur Verlag München 2007, S. 233f. und Buch Möller, Melanie, “Satanismus als Religion der Überschreitung”, diagonal-Verlag Marburg 2007, S. 143f.
[3] ZDF-Bericht aus der Sendung “Aspekte”, “Manuela Ruda distanziert sich vom Satanismus”, ausgestrahlt am 7.4.2006 [Link zum Web-Archiv]
[4] Buchartikel Ruda, Manuela, “Dead End – Die Leidenschaft der Dunkelheit”, in Buch: Fromm, Rainer, “Schwarze Geister, Neue Nazis”, Olzog Verlag München 2008, S. 302
[5] Buch Fromm, Rainer, “Satanismus in Deutschland”, Olzog Verlag München, 2003
[6] Buchartikel Ruda, Manuela, “Dead End – Die Leidenschaft der Dunkelheit”, in Buch: Fromm, Rainer, “Schwarze Geister, Neue Nazis”, Olzog Verlag München 2008, S. 304 und 306
[7] Zeitungsartikel Rheinische Post, 13.7.2001, “Satansmörder hatten Waffen schußbereit”
[8] Buch Christiansen, Ingolf, “Satanismus – Faszination des Bösen”, Gütersloher Verlagshaus Gütersloh, 2000, S. 71f.
[9] Artikel epd, 31.1.2002, “Sekten-Experte: Im Satanismus gibt es keinen Mord”
[10] Buch Grandt, Guido, “Der Satan von Witten”, Knaur Verlag München 2007, S. 226
[11] Buch Grandt, Guido, “Der Satan von Witten”, Knaur Verlag München 2007, S. 232
[12] Zeitungsartikel Bremer Nachrichten, 1.2.2002, “Zwei schwer gestörte Menschen”
[13] Zeitungsartikel Neue Westfälische, 1.2.2002, “Das Mystische ist weg”
[14] Anmerkung zum Zitat: Der Richter spielt damit auf den juristischen Unterschied zwischen “schuldunfähig” und “vermindert schuldfähig” an. Diese Unterscheidung hat Auswirkungen auf die Höhe des Strafmaßes.
[15] Buch Grandt, Guido, “Der Satan von Witten”, Knaur Verlag München 2007, S. 229
[16] Buch Grandt, Guido, “Der Satan von Witten”, Knaur Verlag München 2007, S. 239
[17] Buchartikel Ruda, Manuela, “Dead End – Die Leidenschaft der Dunkelheit”, in Buch: Fromm, Rainer, “Schwarze Geister, Neue Nazis”, Olzog Verlag München 2008, S. 320ff.
[18] Buchartikel Ruda, Manuela, “Dead End – Die Leidenschaft der Dunkelheit”, in Buch: Fromm, Rainer, “Schwarze Geister, Neue Nazis”, Olzog Verlag München 2008, S. 309f.