Das Rechercheteam des NDR hat nachgelegt: Auch drei Jahre nach ihren ersten Berichten haben Bundeskriminalamt und Polizeibehörden immer noch nicht reagiert. Obwohl die Journalisten zeigten, wie einfach es wäre, pädokriminelles Material nachhaltig aus dem Internet zu entfernen, löschen die Behörden die Bilder und Videos immer noch nicht. Ein bemerkenswertes Experiment zeigt nun, wie einfach und wirksam es wäre, das zu tun.
Wir haben im Infoportal bereits mehrfach darüber berichtet und Updates geschrieben:
Das Journalistenteam um Robert Bongen und Daniel Moßbrucker klärte 2021 darüber auf, wie pädokriminelle Foren arbeiten. Die Bilder von Gewaltdarstellungen an Kindern werden zwar über das Darknet verlinkt, sind aber dort gar nicht gespeichert. Aus technischen Gründen liegen die Bilder und Videos gut verschlüsselt auf ganz normalen, sogenannten “Clear Web”-Servern. Die Betreiber dieser Server wissen gar nicht, was bei ihnen gespeichert wurde, weil sie die Verschlüsselungen nicht brechen können. Im Darknet tauschen Pädokriminelle in speziellen Foren nur die Links zu diesen Dateien. Das hat für die Täter*innen den Vorteil, dass sie das Material nicht ständig neu hochladen, sondern nur die Links dorthin im Darknet kopieren und wieder einsetzen müssen, falls eines dieser Foren geschlossen wird. So sind – das haben die Journalisten jetzt, 2025, erneut nachgewiesen – manche Dateien 8 Jahre lang immer an der gleichen Stelle im Netz abgelegt. Nur die Wege dorthin haben sich geändert. Auch digitale Kopien von VHS-Videofilmen und alten, analogen Bildern aus den 1980er und 1990er Jahren sind dort unter dem Etikett “Vintage” immer noch zu finden.
Für Betroffene bedeutet das, dass selbst Material von vor 30-40 Jahre alten Taten auch heute immer noch von Täter*innen konsumiert wird, und das ist eine große psychische Belastung.
Löschen ist die Antwort
Nach der Berichterstattung 2021 haben Politiker*innen, inklusive der Bundesinnenministerin Nancy Faser, öffentlich beteuert, ab sofort auch die Löschung dieser Bilder voranzutreiben, statt immer nur die Foren mit Links zu schließen und dabei zuzusehen, wie genau diese Links in kürzester Zeit woanders wieder verfügbar sind.
Das ist immer noch nicht passiert, weisen die Journalisten im Februar 2025 nach. Die Berichterstattung verlinken wir unter diesem Artikel.
In einem großen Selbstversuch haben die Journalisten sechs Monate lang von Frühjahr bis Herbst 2024 konsequent Bilder löschen lassen. Das ist erstaunlich einfach: Dazu haben sie sich in die Foren eingewählt (das war noch das aufwändigste an diesem Versuch), die dortigen Links automatisiert in großer Zahl (über 300.000 Links) herausgefiltert und an die jeweiligen Serverbetreiber, bei denen die Dateien gespeichert waren, gemeldet.
Der Erfolg dieser Aktion ist frappierend:
“Insgesamt deaktivierten die Unternehmen 310.199 Links, hinter denen sich entweder einzelne Bilder, ganze Alben oder Videos verbargen. Sie waren bis dahin über 23 Millionen Mal heruntergeladen worden und führten zu mehr als 21 Terabyte an Daten. Das ist so viel, als würde sich ein Mensch etwa eineinhalb Jahre lang ohne Pause Videos von Kindesmissbrauch im HD-Fernsehen ansehen.”
(Quelle: NDR-Story vom 6.2.2025)
Wenn die Bilder wieder hochgeladen wurden, haben die Journalisten diese Dateien direkt wieder löschen lassen – und Löschen geht viel schneller als Hochladen.
Innerhalb der pädokriminellen Szene haben diese Löschungen für erhebliche Unruhe gesorgt. Schon 2021 reagierten Foren-Betreiber überrascht, wie Daniel Moßbrucker auch in seinem Buch “Direkt vor unseren Augen” schildert. [1] 2024, bei den Löschungen in noch größerem Stil, waren die Mitglieder dieser Foren irgendwann so enttäuscht darüber, dass all die Daten nicht mehr erreichbar waren, dass sogar drei große Foren komplett von den Betreibern geschlossen und vom Netz genommen wurden. Diese Enttäuschung konnten die Journalisten über ihre angelegten Accounts live mitverfolgen.
Warum wird nicht gelöscht?
Die Journalisten zitieren 2025 aus einem internen Bericht einer “Projektgruppe aus Bund und Ländern” für die Innenministerien, in dem es heißt:
“Einer massenhaften, behördlich veranlassten Löschung … ohne die Einleitung von Ermittlungsverfahren steht das Legalitätsprinzip entgegen.”
Das Legalitätsprinzip bedeutet, dass Behörden, die Kenntnis von Straftaten erlangen, diese auch verfolgen müssen.
Den Satz in dem Bericht fasst die Journalisten in ihrem Film für Strg_F in eigenen Worten so zusammen:
“Wir fangen erst gar nicht erst an zu suchen und zu löschen, damit wir keine Straftaten finden und ermitteln müssen. Denn wir haben nicht genug Polizisten, um dem nachzugehen.”
Dabei schließen sich laut dem Rechtswissenschaftler Matthias Bäcker Löschung und Ermittlung nicht gegenseitig aus:
“Was ich nicht verstehe, ist einfach nur: Warum kann man nicht die Beweise automatisch sichern, und dann gleichzeitig auch automatisch darauf hinwirken, dass die Bilder vom Netz genommen werden? Warum geht das nicht?”
(Alle Zitate in diesem Abschnitt stammen aus dem Strg_F-Film, siehe unten, erster Link)
Kommentar der Infoportal-Redaktion:
So einen Erfolg haben zwei technisch kundige Journalisten in sechs Monaten erreicht. Wieviel könnte erst eine Behörde von der Größe einer Landespolizei oder vom Bundeskriminalamt erreichen? Das Katz- und Maus-Spiel mit den Täter*innen könnte zumindest für eine gewisse Zeit ganz leicht gewonnen werden. Und für die Betroffenen, deren Bilder im Netz sind, ist jede Löschung eine Erleichterung.
Die Argumentation der Behörden, das Legalitätsprinzip stünde einer Löschung entgegen, verstehen wir auch nicht. Pädokriminelle Foren werden immer wieder gefunden, ausermittelt und geschlossen. Und schon bei dieser Tätigkeit hat die Polizei doch streng genommen Kenntnis von allen dort geposteten Verlinkungen, wenn sie ausreichend ermittelt haben, um diese Foren zu schließen. Die Frage nach dem Legalitätsprinzip stellt sich also viel früher als bei der Initiative, den Serverbetreibern die Links zur Löschung zu schicken. Und zur Personalsituation: Dass es technisch automatisiert möglich ist, ohne Unmengen an Personal zu erfordern, haben die Recherchen des Journalistenteams nun schon zum wiederholten Male bewiesen.
Dass die Politiker*innen 2021 behauptet haben, sie hätten das Problem verstanden und würden der Löschung jetzt höhere Priorität einräumen, waren offenbar Lippenbekenntnisse. Der einzige, der sich den Fragen der Journalisten gestellt hat und eingeräumt hat, dass zu wenig passiert, ist der nordrheinwestfälische Innenminister Herbert Reul (in den Filmen zu sehen). Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat ihnen zwar auch ein Interview gegeben, aber behauptet, es sei schon viel verändert worden. Das konnten diese Recherchen eindrucksvoll widerlegen.
Hier finden Sie die Original-Berichterstattung von 2025 (Auswahl)
Strg_F Video bei youtube: https://www.youtube.com/watch?v=Ndk0nfppc_k
Lesetext und Videos der Panorama-Redaktion: https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama/archiv/2025/Kindesmissbrauch-Polizei-loescht-strafbare-Bilder-nicht,paedoforen104.html
Interaktive Online-Story beim NDR: https://story.ndr.de/missbrauch-ohne-ende/index.html
Lesetext bei Tagesschau.de: https://www.tagesschau.de/investigativ/panorama/darknet-sexualisierte-gewalt-kinder-fotos-loeschen-bka-100.html
Radiointerview (NDR) mit Julia von Weiler, Innocence in danger, zu den Recherchen: https://www.ndr.de/nachrichten/info/Kinderschuetzerin-von-Weiler-Es-ist-ein-Kampf-gegen-Windmuehlen,audio1808688.html
Links zur Original-Berichterstattung von 2021 finden Sie hier im Infoportal.
Sonstige Quellen:
[1] Buch von Moßbrucker, Daniel, “Direkt vor unseren Augen – Wie Pädokriminelle im Internet vorgehen und wie wir Kinder davor schützen”, September 2023, Droemer-Verlag